Die Tausend Kilometer in Reichweite
Die Tausend Kilometer in Reichweite
Ellwanger Segelflieger überraschen mit tollen Flügen
19. Juli 2020
Mit Flügen bis knapp an die Tausend Kilometer haben die Ellwanger Segelflieger von ihrem Flugplatz in Erpfental aus den besten Tag dieser bisher kurzen Flugsaison voll ausgereizt. Nach insgesamt zehn Stunden Flugzeit, angetrieben nur durch Sonnenenergie, kam für Philipp Funk die Tausender-Marke schon in Sichtweite. Mit dem Discus „Eins-XRay“ landete er nach einem Mammutflug wieder sicher auf dem Flugplatz in Erpfental. Die 1000 km-Tagesstrecke ist damit in greifbare Nähe gerückt.
Eine Kaltfront war durchgezogen in Süddeutschland am Vortag und nach deren Abzug über Bayern hat die darauffolgende Nacht weitere Schauer verhindert. Am Morgen war der Luftdruck weiter angestiegen und der Wind hatte auf Nordost gedreht; es konnte also losgehen. Segelflieger sind an solchen Tagen Frühaufsteher; die Vorbereitung dauern etwas länger und so wurde es schon vor acht Uhr ‚lebendig‘ auf dem Flugplatz nördlich Erpfental. Nach dem Zusammenstecken der Flieger werden zunächst die Flächentanks mit Wasser gefüllt. Das zusätzliche Gewicht macht die Segelflugzeuge nicht wirklich besser, aber es ermöglicht den Piloten, die besten Flugleistungen bei hoher Geschwindigkeit abzurufen. Und Geschwindigkeit ist der entscheidende Faktor bei Langstreckenflügen. Geht es doch darum, in dem zur Verfügung stehenden Thermik-Zeitfenster die größtmögliche Strecke, die am besten vorher angemeldet werden sollte, abzufliegen. Das Rückseitenwetter hat es gut gemeint mit den Piloten an diesem Tag und Ihnen zehn Stunden Thermik bereitgestellt. Unter Thermik versteht man die warmen Aufwinde, die die in ihnen meist kreisenden Segelflugzeuge nach oben tragen, damit dann die gewonnene Höhe in Streckenkilometer umgesetzt werden kann.
Nach der Auswertung der Wetterdaten, dem Planen der Strecken und dem Programmieren der Bordcomputer kann es dann losgehen. Neben Philipp Funk haben sich noch Markus Beerhalter zusammen mit Dominik Stempfle auf dem Doppelsitzer DuoDiscus „EkkoVier“ und Bernd Urban, „BU“, mit der ASW-20 zu großen Taten bereitgemacht. Über Funk werden Sie während des Fluges über Ihre Wettbewerbskennzeichen wie z.B. „BU“ oder „Eins-XRay“ in Verbindung bleiben
Franz Köninger wuchtet dann in gewohnt routinierter Art mit der DR-400 der Fliegergruppe Ellwangen die drei Leistungspiloten zügig an den Himmel. Die 180 PS der Schleppmaschine sind dabei voll gefordert um die schwer beladenen Leistungsflieger in die Luft zu bekommen.
„Die Alb geht gut“ an diesem Tag, so kann man es schon kurze Zeit später aus dem Funk entnehmen. Die schwäbische Alb, diese „Rennstrecke der Segelflieger“ entwickelt deshalb so gute Thermik, weil Niederschläge sehr schnell in dem zerklüfteten Jurafelsenuntergrund verschwinden und so noch mehr Energie aus der Sonneneinstrahlung für die Ausbildung von Thermik zur Verfügung steht. Für die Ellwanger Segelflieger liegt diese Rennstrecke praktisch direkt vor der Haustür. Außerdem schiebt an diesem Tag der nordöstliche Wind als Rückenwind und er lässt auch die Abstände zwischen den Aufwinden kürzer werden.
Philipp umrundet den Schluchsee und der DuoDiscus mit Markus und Dominik wenden in Winzeln-Schramberg. Dann geht es weiter in Richtung Norden, dem zweiten Schenkel der angemeldeten Strecken-Dreiecke. Ähnlich wie über der schwäbischen Alb entwickeln sich meist auch über dem Schwarzwald gute thermische Bedingungen, sodass die Flüge zügig weitergehen können. Ab Pforzheim ist dann aber vorsichtiges Taktieren angesagt, denn der „Kriechgau“, so nennen die Segelflieger scherzhaft das Gebiet zwischen Pforzheim und Sinsheim, unter Fußgängern auch als Kraichgau bekannt, hält meist nur schwachen Aufwinde bereit. Deshalb wird hier vorsichtiger vornageflogen, denn mit geringerer Geschwindigkeit gleitet das Segelflugzeug mit der vorhandenen Höhe über eine weitere Strecke. Mehr als vierzig Kilometer fliegen Segelflugzeuge wie der Discus oder DuoDiscus unter günstigen Bedingungen. Und da die Arbeitshöhe mittlerweile über einen Kilometer angestiegen ist, werden die Vorläufer des Odenwaldes nördlich von Sinsheim sicher erreicht. Schlierstadt/Seligenstadt ist das Ziel von „EkkoVier“, „Eins-XRay“ fliegt weiter bis Rothenberg im Odenwald. Mit der Umrundung dieser Wendepunkte ist auch für beide Flieger das zweite Etappenziel erreicht. Langsam kommen Zweifel hoch: „Ist das Wetter doch besser als angesagt, sind die ausgeschriebenen Dreiecke zu klein?“ Die Strecken nach Osten sind die Längsten der ganzen Tagesaufgabe und der Wind kommt auch noch von vorne. Da ist es gut, wenn diese Abschnitte bei der besten Tagesthermik geflogen werden können. Es ist schon beeindruckend, wie viele Flugzeuge an einem solchen Super-Tag unterwegs sind. Schnell wird es da eng in den Aufwinden und wie soll man da noch den Überblick und die Sicherheitsabstände einhalten können? Schließlich können sich zwei Flugzeuge auf Gegenkurs in jeder Sekunde um 100 Meter annähern. Das menschliche Auge ist da überfordert und die Technik muß weiterhelfen. Flächendeckend sind in der Zwischenzeit alle Segelflugzeuge in unserem Land mit einem Flugzeugerkennungssystem, kurz FLARM genannt, ausgerüstet. Dieses tauscht kontinuierlich die Positionsdaten zwischen den einzelnen Luftfahrzeugen aus und kann dann dem Piloten anzeigen, wenn einer zu nahe kommt.
Schnell geht es voran auf dem dritten Schenkel der ausgeschriebenen Strecken und es ist erst kurz nach vier, als für die Mannschaft des DuoDiscus die dritte Wende, der Flugplatz von Beilngries in Sicht kommt. Schnell wird umrundet, noch 400 Meter Höhe getankt, und dann geht es heim zum Flugplatz Erpfental. Nach insgesamt sieben Stunden Flugzeit und 580 zurückgelegten Streckenkilometern setzt die Mannschaft „Markus und Dominik“ weich auf der Grasfläche des Heimatflugplatzes auf. Philipp hat das dritte Ziel weit nach Bayern rein gelegt und hat mit besonderen Herausforderungen auf dem Weg nach Regensburg zu kämpfen. Der Regen des Vortages hat sich hier viel länger gehalten und die noch sehr feuchte Luft sorgt dafür, dass die bisher so schön anmutenden Thermikwolken sich hässlich ausbreiten und so die Sonne an der weiteren Einstrahlung hindern. Jetzt heißt es möglichst hoch zu bleiben, vorsichtig zu taktieren, und sich von Sonnenfleck zu Sonnenfleck ‚durchzuhangeln‘. Das kostet Zeit und Geschwindigkeit, ist jedoch die erfolgversprechende Variante. Nach der Umrundung des Wendepunkts in Regensburg-Nähe wird es auf dem Flug nach Westen wieder besser und nun bestätigt sich die frühere Vermutung: Der angemeldete Flug, ein sog. FAI-Dreieck über 750 km, war deutlich zu kurz. Das Reglement erlaubt aber, noch zusätzlich eine ‚freie Strecke‘ dranzuhängen und so zeigt der Kilometerzähler der „Eins-XRay“ die stolze Marke von neunhundert Kilometer, als Philipp nach fast zehn Stunden auf dem Heimatflugplatz landet.
„Wo kann man all dies erlernen und was kostet das?“, das sind die wohl am häufigsten gestellten Fragen von Besuchern auf dem Fluggelände Ellwangen-Erpfental.
Im vereinsinternen Ausbildungsbetrieb bildet die Fliegergruppe Ellwangen aus in den Sparten Segelflug, Motorsegler und Motormaschine. Ein Team von ehrenamtlich tätigen Fluglehrern wechseln sich in dieser Aufgabe ab. Im Sommer erfolgt die praktische Ausbildung beim Fliegen und im Winter wird Theorie gepaukt, meist in Kooperation mit den Nachbarvereinen in Bopfingen, Aalen und Neresheim. Alle im Ausbildungsbetrieb eingesetzten Flugzeuge befinden sich im Eigentum der Fliegergruppe Ellwangen und lediglich die Betriebskosten von Fluggerät und Flugplatz werden über Start- und Fluggebühren umgelegt. Somit bleiben die Kosten erschwinglich. Allerdings sollte von den Flugbegeisterten schon etwas Zeit mitgebracht werden, nur so ist ein zügiges Vorankommen bei der Ausbildung, ähnlich wie im Streckenflug, garantiert.
Weitere Information können an jedem schönen Wochenende oder in dem in der ersten Augusthälfte anstehenden Sommerfluglager auf dem Flugplatz in Ellwangen-Erpfental erfragt werden. Auch im Ellwanger Ferienprogramm sind die Flieger vertreten. Die Zeit zum Einstieg ist immer am günstigsten im Rahmen eines Fluglagers. Dann kommt man jeden Tag in die Luft.
Autor: Dr. Michael SchlipfBild: Bernhard KuhnDieser Artikel ist als Beitrag am 22 Juli 2020 in der Schwäbischen Post erschienen. Link zum Zeitungsartikel (Account nötig)